Essay

Ulrich Post, Mitgründer der Respektraum-Initiative war unter anderem Redakteur im Ressort Außenpolitik des „stern”, Leiter der Kommunikationsabteilung des Christenrats von Lesotho, Geschäftsführer von Germanwatch, Pressesprecher bei der Welthungerhilfe, später dann deren Politikchef. 2005  wurde er stellvertretender Vorsitzender und von 2009 bis 2013 Vorsitzender des NGO-Dachverbands VENRO. Seit Jahren ist er zudem in leitender Position in der Bonner Flüchtlingshilfe engagiert.

Kooperation in der Weltrisikogesellschaft

 

„Wir sind auf Kooperation gepolt“, heißt es in einer der Respektraum-Thesen. Nur – wenn man an Querdenker und Reichsbürger denkt, oder auch an die internationalen Klimaverhandlungen, den global sehr ungleichen Zugang zu Corona-Impfstoffen oder andere Globalisierungsprobleme und erst recht, wenn man sich Putins brutalen Überfall auf die Ukraine anschaut, dann kommen doch starke Zweifel am Kooperationswillen vieler Beteiligter auf. Nationale Egoismen, Machtspiele, Verteilungskonflikte oder die reine Machtsicherung von Eliten scheinen Vorrang vor globaler Kooperation zu haben. Sind Menschen doch vor allem egoistische Wesen, die ihre Eigeninteressen durchsetzen wollen? Sind Staaten Akteure, die vor allem ihre nationalen Interessen maximieren wollen, auch auf Kosten anderer?


Nein, sagt der renommierte Biologe und Evolutionsforscher Frans de Waal und bestätigt die Respektraum-These. Er hat sich mit dem Sozialverhalten nicht-menschlicher Primaten, z.B. Orang-Utans oder Schimpansen, beschäftigt und nachgewiesen, dass selbst bei allen Menschenaffen Verhaltensweisen wie „Helfen“ oder „Gutsein“ vorkommen, also Ansätze zu kooperativem Verhalten. De Waal schließt daraus, dass sich soziale Verhaltensweisen mit der Evolution entwickelt haben. Schon bei unseren (menschlichen) Vorfahren habe sich eine einzigartige Fähigkeit zur Kooperation herausgebildet, etwa bei der gemeinsamen Jagd auf Tiere. Aus seiner Sicht ist Kooperation zum wechselseitigen Vorteil ein Grundbaustein menschlicher Existenz. Menschen seien daher vor allem Herdentiere und soziale Wesen, entweder hochkooperativ oder auf extreme Konkurrenz fixiert, aber trotzdem auf Ausgleich bedacht, weil sie ansonsten nicht überlebensfähig gewesen wären.


Auch der Anthropologe und Entwicklungspsychologe Michael Tomasello kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Die herausragende Stellung der Menschen im Reich der Primaten erklärt er mit ihrer überlegenen Kooperationsfähigkeit, die im Laufe der Menschheitsgeschichte zu einem Anpassungsvorteil geführt habe. Aber, so Tomasello, die Bereitschaft zu helfen oder zu kooperieren, stelle nur einen Teil des menschlichen Wesens dar; in gleicher Weise achteten wir nämlich auch auf unseren Vorteil, auf unsere Eigeninteressen. Und er ruft dazu auf, Bedingungen zu schaffen, die Kooperation ermöglichen.

Erfolgreiche Kooperationen, so fanden Forscher ganz unterschiedlicher Disziplinen heraus, erfordern u.a. Fairness im Umgang; eine „Wir-Identität“, also Gruppenzugehörigkeit; eine offene Kommunikation; Vertrauen; Empathie und Respekt vor den Interessen der anderen; ein Verhalten auf Gegenseitigkeit („wie Du mir, so ich Dir“), Instrumente zur Bestrafung opportunistischen Verhaltens und das gegenseitige Respektieren einer relativen Autonomie. Auch räumliche Nähe erleichtert die Zusammenarbeit. Gute Nachbarschaft zahlt sich aus.


Menschen, da scheinen sich viele Wissenschaftler einig, sind also nicht auf Konkurrenz und Eigennutz gepolt, sondern „von Natur aus“ besonders kooperationsfähig. Kooperation funktioniert in der Regel in Gruppen; sie ist evolutionshistorisch durch den Wettbewerb und durch Konflikte zwischen Gruppen entstanden. Ihr Gelingen ist wahrscheinlicher, wenn sie durch geeignete Institutionen gefördert und geschützt wird.


Zu den Bedrohungen von Kooperation zählen insbesondere die sog. „free-rider“ oder Trittbrettfahrer, die in der Zusammenarbeit weder fair noch auf Gegenseitigkeit handeln oder ohne aktive Beteiligung die Wirkungen einer Kooperation mitbenutzen. In der Spieltheorie bezeichnet man ähnlich Vorgehende als „Erpresser“, die zwar im Prinzip kooperieren, zwischendurch aber den Partner übers Ohr hauen, also ein Verhalten zwischen Kooperation und Vorteilsnahme. Mit ihnen könne man nicht wirklich zusammenarbeiten.   

 
Neben diesen und anderen Bedrohungen gibt es auch eine Reihe von relativ neuen Problemlagen, die vor allem die internationale Zusammenarbeit vor erhebliche Herausforderungen stellen. Dazu zählen z.B. die global wachsende Ungleichheit, die von vielen Menschen nicht als fair empfunden wird. Wirtschaftliche Entwicklung muss Kipp-Punkte und planetarische Grenzen beachten, wenn die Klimakrise nicht noch zerstörerischer werden soll. Auch haben globale Machtverschiebungen stattgefunden; die westlichen Clubs (G7, OECD etc.) verlieren an Macht, aber es gibt noch keine angepassten Regelwerke oder Institutionen für die neuen Machtkonstellationen. Die Digitalisierung verändert schon jetzt das Wirtschaften und Arbeiten, hat aber noch lange nicht ihren Höhepunkt erreicht. Gewaltideologien wie z.B. die des IS halten die Welt in Atem. Und nicht zuletzt gibt es laut neuem Bertelsmann Transformationsindex erstmals seit 2004 weltweit mehr autokratische Regime als demokratische – und Autokraten sind eher auf Machterhaltung aus als auf gesellschaftliche Entwicklung.


Evolutionsforscher wie Tomasello halten diese Problemlagen menschheitsgeschichtlich für so neu, Überstaatlichkeit für so jung, dass es noch keine Institutionen gibt, die diese erst seit wenigen Jahren oder Dekaden bekannten globalen Risiken wirksam bearbeiten können. „Wenn wir heute im globalen Maßstab denken müssen,“ so Tomasello, „so sollten wir beachten: Es wird dauern, bis sich die Menschen geistig darauf eingestellt haben.“ Das wichtigste sei, die Institutionen so zu strukturieren, „dass sich jeder, damit meine ich Personen, Gruppen, Organisationen, Nationen, fair behandelt fühlt.“


Menschen sind nicht nur lokal in der Nachbarschaft aufeinander angewiesen, sondern de facto eine globale Risikogemeinschaft. Neben den Institutionen, in denen gemeinsame Regelwerke entwickelt werden, Vertrauensaufbau und Lernprozesse stattfinden und Wir-Identitäten ausgebildet werden, brauchen sie, brauchen wir aber auch etwas, was Immanuel Kant bereits 1795 eingefordert hat, nämlich „Weltbürgersinn“ und eine „Weltbürgergesellschaft“. Denn Weltbürger sehen und berücksichtigen auch die Sichtweise der „Anderen“.


Der Soziologe Ulrich Beck, bekannt geworden durch sein Buch zur „Weltrisikogesellschaft“, vertrat die Auffassung, dass die Großrisiken und Problemlagen eine Nationen-übergreifende Zusammenarbeit erzeugen werden, weil das Überleben aller von gemeinsamem Handeln abhängig sei. Hoffentlich behält er recht, und die Polung auf Kooperation setzt sich durch. Vielleicht können auch die Respekträume ihr kleines Scherflein dazu beitragen; denn Kooperation erfordert auch Respekt vor den „Anderen“.

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