Interview

Polizisten, Sanitäter, Feuerwehrleute, Lehrer: alle beklagen, dass sie zunehmend respektlos behandelt werden. Wie ist Ihre Wahrnehmung?

Wir alle haben - bedingt durch die Pandemie - seit einem Jahr relativ
wenig soziale Kontakte und kommen wenig miteinander ins Gespräch.
Deshalb bekommen wir einen Großteil unserer Informationen aus den
Medien (den sozialen und konventionellen). Hier scheint Ihre
Beschreibung zu stimmen. Aber ist das die Wirklichkeit? Als
Theatermacherin weiß ich, dass besonders die dramatische Zuspitzung bei
der medialen Präsentation interessant ist. Deshalb bin ich immer
skeptisch, wenn ich das mediale Stimmungsbild nicht mit meiner eigenen
Realität abgleichen kann. Denn neben einer Zunahme an Respektlosigkeit
erfahre ich auch eine Zunahme an Solidarität, Sensibilität und
Kooperation. Ich kann diese Frage also nicht abschließend beurteilen
und freue mich auf die Rückkehr zu mehr persönlichem Austausch: als
Basis jeder respektvollen Begegnung.

Wie können wir die gesellschaftlichen Debatten wieder versachlichen?

Indem wir in kulturelle und politische Bildung investieren. Kinder- und
Jugendliche müssen lernen, dass Konflikt, Diskussion und Streit
wichtige Pfeiler der Demokratie sind. Und wir alle müssen üben, wie
das konstruktiv funktioniert. In Rollenspielen und durch den Besuch von
Theaterstücken lernen wir, wie Konflikte eskalieren können, aber auch,
wie man sie verhindert. Wir brauchen Begegnungsräume, wo wir auch
außerhalb unserer „Bubble“ Menschen begegnen, die eine andere
Meinung vertreten als wir selbst.

Gibt es eine Erfahrung oder eine Beobachtung, die Sie in besonderer
Weise mit Respekt verbinden?

Jede Form von ritualisierten Begegnungen, egal ob in der Kirche, bei
Familienfeiern, bei kulturellen Veranstaltungen, beim Sport, bei
Empfängen etc. Immer dann, wenn wir uns selbst einen Rahmen geben, der
unseren Auftritt in etwas ungewöhnliches Licht rückt, reagieren wir
meistens gespannt, neugierig und offen - die Grundpfeiler respektvollen
Umgangs miteinander.

Könnte Ihrer Meinung nach mehr gegenseitiger Respekt so eine Art Kitt
für unsere Gesellschaft sein?

Absolut.

Kann man Respekt lernen? Oder muss man sich den erarbeiten?

Beides. Man muss lernen, ihn anzuwenden und man erarbeitet sich Respekt,
indem man vorbildlich agiert.

Handelt jemand respektlos, der intolerant gegenüber
Fremdenfeindlichkeit ist?

Nein. Aber er handelt dann respektlos, wenn er keinen Dialog zulässt.
Ich kann Dinge nicht tolerieren und trotzdem gesprächsbereit bleiben.

Nicola Bramkamp

Nicola Bramkamp ist eine renommierte Theatermacherin und seit 2019 Lehrbeauftrage an der Hochschule für Musik und Theater Hannover. 
Sie war Dramaturgin am Theaterhaus Jena und am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg sowie Schauspieldirektorin am Theater Bonn.
Sie hatte einen Lehrauftrag für Dramaturgie an der Theaterakademie Hamburg und unterrichtete und unterrichtet an einer Reihe weiterer Hochschulen wie der ZHDK Zürich und dem Mozarteum Salzburg.
Sie war Projektleiterin des Theaterfestivals Impulse. Sie ist die Initiatorin der Konferenz für Theatermacherinnen BURNING ISSUES und Gründerin und künstlerische Leiterin der Initiative SAVE THE WORLD, die seit 2014 in Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Institutionen, NGO ́s und internationalen Künstlern Themen wie Nachhaltigkeit und Klimawandel in den Fokus einer breiten Öffentlichkeit bringt. 2017 und 2018 kuratierte sie mit SAVE THE WORLD im Auftrag der Vereinten Nationen das Kulturprogramm zur Weltklimakonferenz.
Nicola Bramkamp ist Mutter von zwei Kindern.

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