Reportage

Frank Bliss ist Professor für Ethnologie an der Universität Hamburg und Senior Research Fellow am Institut für Entwicklung und Frieden (INEF) der Universität Duisburg-Essen; außerdem ist er Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Entwicklungsethnologie (AGEE), des Zusammenschlusses der in der Entwicklungszusammenarbeit tätigen oder in diesem Bereich forschenden Ethnologen in Deutschland. Darüber hinaus berät er nationale und internationale staatliche und nicht-staatliche Organisationen bei der Planung, Durchführung und Auswertung von Entwicklungsvorhaben.

Oftmals fehlender Respekt im Umgang mit anderen Menschen ist nicht nur ein deutsches Phänomen, es ist auch in anderen Kulturen zu beobachten. Manches kommt einem dabei bekannt vor, anderes wiederum scheint aus unserer Sicht „fremd“ oder „unmodern“ zu sein. Unser Autor – der Ethnologe Frank Bliss - schildert im Folgenden in eher anekdotischer Form einige seiner persönlichen Erfahrungen in sog. traditionellen Gesellschaften zum Thema Respekt und asymmetrische Kommunikation, die er bei seiner Arbeit im Ausland gemacht hat.

Respekt – „normale“ und außergewöhnliche Gesprächsformen rund um die Welt

Frank Bliss

Man kann Respekt bezeugen in der Diskussion und beim Abwägen bei Entscheidungen. Einerseits. Andererseits können Respektbezeugung und Diskriminierung mitunter eng beieinander liegen. Insbesondere gilt dies, wenn die Erwartungen gegenüber der Respektbezeugung asymmetrisch sind, also die Älteren Respekt seitens der Jüngeren erwarten, die Notablen seitens der „NormalbürgerInnen“ oder die Männer seitens der Frauen. Umgekehrt besteht die Erwartung des Respekts dagegen in vielen Kulturen eher selten. Das ist zumindest meine Erfahrung aus vielen Jahren Beratung in sog. Entwicklungsländern. Einige Beispiele:

Wenn ich zu Beratungsaufträgen unterwegs war, traf ich nicht selten folgende Situation an: Eine gemischt-geschlechtliche Gruppendiskussion in Burkina Faso zu den Erwartungen gegenüber einem Projekt, durch das der Maniokanbau wieder intensiviert werden könnte. Es sprach zuerst der Dorfchef, es warf einer der anwesenden Clanchefs etwas ein, der Chef ergänzte, ein zweiter Clanchef sprach und erneut der Dorfchef. Von den mehrheitlich die Gruppe bildenden Frauen kein Wort. Erst auf Aufforderung, doch bitte ebenfalls die Meinung zu sagen, meldete sich eine ältere Frau zu Wort. Sie wurde als Chefin einer Frauengruppe vorgestellt. Nach ihr redeten der Chef, die Clanchefs, und wieder der Chef. Von den acht Frauen der 15-köpfigen Gruppe sprach sonst niemand.

Szenenwechsel nach Pakistan, in die besonders konservativen Tribal Areas im Nordwesten, wo die meisten Frauen eine Burka tragen (müssen). In einer Dorfversammlung saßen an die 50 Männer, die Kalaschnikow neben sich, und diskutierten über die alternativen Wasserversorgungsmöglichkeiten für das Dorf. Eine Mitarbeiterin des Projekts saß zwischenzeitlich hinter abweisenden Mauern eines benachbarten Gehöfts mit einer Gruppe von Frauen zum gleichen Thema zusammen. Nach etwa zwei Stunden schickte der Jirga-(Ratsversammlungs-)Vorsitzende einen Jungen zu den Frauen los, um deren Meinung einzuholen. Nach einer Viertelstunde kam er zurück und flüsterte dem Chef etwas ins Ohr. Dieser erklärte daraufhin laut in die Runde, die Frauen würden am liebsten Wasserhähne in jedem Wohnviertel des Dorfes haben, das sei einerseits nah an den Häusern und andererseits billiger als Hausanschlüsse. Und was sagte die Jirga der Männer dazu?  „Die Frauen haben doch schon festgestellt, was das Dorf bekommen sollte, was sollen wir Männer anderes dazu sagen“, so die Antwort des Chefs. Strenge Trennung der Geschlechter, aber großer Respekt der Männer gegenüber den Wünschen der Frauen, die allerdings ja auch die Mühen der Wasserbeschaffung auf sich nehmen müssen.

Irgendwie dazwischen war der Verlauf einer Diskussionsrunde in Ghana: Ich hatte den lokalen Akan-Chief gebeten, einen Querschnitt der männlichen Dorfbevölkerung einzuladen, um über Maßnahmen gegen Buschfeuer zu beraten und am Ende gemeinsam Prioritäten festzulegen. Wie in so vielen Gesprächsrunden zum Thema zuvor redeten die Alten, der Chief selbst, die Vertreter der Großfamilien im Dorf und hier, anders als bei vielen anderen westafrikanischen Ethnien, auch zwei energische ältere Frauen, die sich scheinbar ganz selbstverständlich zur Männerrunde gesellt hatten. Nur meldete sich niemand aus der Gruppe der „Jungen“ zu Wort, die aus einem Dutzend jüngerer Männer im Alter von vielleicht 25 bis 35 Jahren bestand.

Als es um eine Entscheidung gehen sollte, bat ich den Chef diskret um die Möglichkeit, doch mit Stellungnahmen der jüngsten Teilnehmer der Runde zu beginnen. Der Chef lachte auf, er schien diese außergewöhnliche Idee besonders lustig zu finden und bat den allerjüngsten Teilnehmer ums Wort. Dieser sprach zuerst eher verschämt und leise, dann aber trug er immer gelöster seine Ideen vor. Weiter ging es in der Runde, ohne dass jemand die Redner unterbrach, bis am Ende der Chief, immer noch bestens gelaunt, sein eigenes Fazit zog. Vielleicht erfolgte diese Umkehr der Reihenfolge von Stellungnahmen in einer Versammlung in diesem Dorf zum ersten und zugleich letzten Mal, aber zumindest an diesem Tag war die Respektbezeugung alles andere als asymmetrisch.

Dass Respekt eingefordert wird, dass aber auch der, dem Respekt erwiesen wurde, wieder auf die Ebene der Gleichheit zurückkehren kann, erlebte ich bei einem der „großen“ traditionellen Könige der Republik Sudan: Eine Ehrenwache mit Lanzen an der Pforte zum Palast, der Sultan am Ende des Versammlungssaales auf einem Thron, neben sich die Mitglieder des engeren Gefolges, der Imam, mehrere Clanchefs und vor ihm der „Übersetzer“, da kein Gast mit dem König unmittelbar spricht. Mühsam auf Ägyptisch-Arabisch dem Übersetzer den Gruß an den Sultan entbietend, dann den Grund seiner Anwesenheit erklärend und im langsamen Dialog anschließend über den Übersetzer mit dem Sultan die aktuelle Situation (Maßnahmen gegen Heuschreckenschwärme) besprechend, führte ich das Gespräch etwas zäh über fast eine Stunde.

Die offizielle Verabschiedung kam, der Hofstaat des Sultans entfernte sich, ich wollte ebenfalls den Rückzug antreten, als der Sultan aufstand, mir die Hand reichte und in bestem Englisch lapidar feststellte, das Offizielle sei ja nun vorbei und man könne gerne noch einmal Details tête-à-tête auf Englisch besprechen. Er selbst sei nur einige Monate im Jahr hier im Sudan und übe dann sein Amt als Sultan aus. Den Rest des Jahres überlasse er diesen Job seinem Wakil (Stellvertreter) und unterrichte an einer britischen Universität als Professor.

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