Interview

Ruth Weiß Ein so bewegtes und langes Leben wie das unserer Gesprächspartnerin in wenigen Zeilen nachzuzeichnen, ist eine Herausforderung. Zumal dann, wenn sie als Kind bitterstes Unrecht erfuhr, aber nicht in die Opferrolle schlüpfte, sondern sich ein Leben lang bis heute engagiert für Gerechtigkeit und für einen respektvollen Umgang miteinander einsetzt, unabhängig von Hautfarbe, Religion oder Herkunft.


Ruth Weiß wurde 1924 als Kind jüdisch-deutscher Eltern in Fürth geboren. Der Vater, Richard Löwenthal, verlor bereits 1933 seine Arbeitsstelle und wanderte mit Hilfe von Verwandten nach Südafrika aus. 1936 konnte auch die Mutter mit ihren beiden Töchtern nach Johannesburg ausreisen. Dort betrieb die Familie Löwenthal ein Lebensmittelgeschäft.


Nach der Schule arbeitete Ruth in verschiedenen Stationen, z.B. in einem Rechtsanwaltsbüro, einem Buchladen oder (in London) in einem Verlag. Nach der Rückkehr aus London begann sie, auch als Korrespondentin für deutsche Medien zu berichten und machte daraus bald einen Fulltime-Job als Journalistin: zwei Jahre Business Editor beim Newscheck in Johannesburg, dann auch dort zur Financial Mail. 1966 bis 1968 war sie Bürochefin der Financial Mail im Salisbury im damaligen Rhodesien (heute Harare in Zimbabwe). Von dort aus ging sie wiederum nach London und arbeitete für den Guardian und den Investors Chronicle. 1971 wurde sie Business Editor bei der Times of Zambia und dortige Korrespondentin der Financial Times. 


Seit 1960 schrieb sie als Journalistin gegen den Rassismus und das Unrecht der Apartheidpolitik im südlichen Afrika an. 1966, als sie im benachbarten Südrhodesien (heute Zimbabwe) arbeitete, setzte die südafrikanische Regierung sie auf eine „schwarze Liste“, erklärte sie zur „unerwünschten Person“ und verfügte ein Einreiseverbot. Erst 1991 wurde sie wieder von der „Schwarzen Liste“ gestrichen und konnte Anfang der 90er Jahre, nach dem Ende der Apartheid, Südafrika wieder besuchen. Als renommierte Wirtschaftsjournalistin erlebte Ruth Weiss zuvor die Jahre der Unabhängigkeitsbestrebungen im südlichen Afrika mit und hatte Kontakte zu allen wichtigen afrikanischen Freiheitskämpfern. Ende der 60er Jahre mußte sie auch Rhodesien verlassen, da sie allzu offen berichtete, wie es der Regierung gelang, die UN-Sanktionen zu umgehen. 


Berufliche Tätigkeiten beim „Guardian“ in London und der „Deutschen Welle“ in Köln schlossen sich an. Danach kehrte sie ins südliche Afrika zurück, arbeitete in Sambia und Zimbabwe für bekannte englische, deutsche und afrikanische Zeitungen, auch als Ausbilderin für Journalisten. Sie veröffentlichte eine Reihe von Büchern über Südafrika und schrieb Romane und Jugendbücher.


Nach Beendigung ihrer Berufstätigkeit zu Beginn der 90er Jahre ließ sie sich auf der Isle of Wight nieder. Danach lebte sie einige Jahre in ihrem Geburtsland Deutschland, wo sie weiter als freie Schriftstellerin tätig war. 2015 zog sie zur Familie ihres Sohnes nach Dänemark.


Sie hatte engen Kontakt zu Nelson Mandela, den sie 1960 kennenlernte, und zu vielen anderen Führern der afrikanischen Freiheitsbewegungen, wie etwa dem späteren Staatspräsidenten von Sambia, Kenneth Kaunda. Sie galt lange als eine der wichtigsten afrikanischen Stimmen gegen Rassismus, Frauenfeindlichkeit und Antisemitismus. Die Schriftstellerin Nadine Gordimer zählte zu ihren besten Freundinnen. Zu ihrem 90.Geburtstag gratulierte ihr auch Henry Kissinger, Schulkamerad aus Fürth.


Ruth Weiss ist vielfach geehrt und ausgezeichnet worden, u.a. mit dem Bundesverdienstkreuz und mit einer Ausstellung in Kapstadt. Eine Realschule in Aschaffenburg ist nach ihr benannt. Trotz ihres Alters unternimmt Ruth Weiss immer noch Lesereisen in Deutschland, ganz besonders gerne in Schulen.


Wer wäre besser geeignet, Auskunft zum Thema „Respekt“ zu geben! 

 

Polizisten, Sanitäter, Feuerwehrleute, Lehrerinnen: alle beklagen, dass sie zunehmend respektlos behandelt werden. Wie ist Ihre Wahrnehmung?

Die Respektlosigkeit gegenüber der Autorität in Form von Beamten, die nur ihrem Job nachgehen, ist beklagenswert. Nun, da ich in Dänemark, einem Land mit nur 6 Millionen Menschen lebe, denke ich, dass dies vor allem in großen Ländern so ist, vielleicht weil der Stress zunimmt. Um zu beschreiben, wie es „mal war“ (ohne von „guten alten Zeiten“ zu reden)¬¬: 1952 verbrachte ich eineinhalb Jahre in London. An einem Abend hatte ich mit einem geborgten Wagen eine ebenfalls landfremde Freundin in Nordlondon nach Südlondon zu mir abgeholt, dabei hatte ich mich verfahren. Alles war dunkel, wir wussten nicht, wo wir waren. Meine Freundin stieg aus, fand ein öffentliches Telefon, rief die Polizei an und bat höflich um Hilfe. Der diensthabende Offizier fand das recht lustig und sagte sie sollte ihm das nächste Strassenschild ablesen, was geschah. Er erklärte, wie wir nun fahren und dann die nächste Station anrufen sollten. Danach wurden wir von einem Vorort in den anderen bis nach Wimbledon von den Polizisten befördert, denn der erste hatte das den anderen weitergegeben! Das ist heute unvorstellbar. Respekt bestand eben gegenseitig.

Wie können wir die gesellschaftlichen Debatten wieder versachlichen?

Ich denke, das muss in der Kindheit beginnen. Einer meiner ersten Schocks in rassistischen Zeiten in Südafrika war die demütigende Behandlung der Afrikaner durch unsere weißen Nachbarn und ihre Bezeichnung dieser Menschen als „skepsel – Geschöpfe.“ Sofort erinnerte es mich an das Land, in dem wir als Juden nicht mehr erwünscht waren, wo der oberste Herr uns u.a. als Parasiten verschrie.  Als später mein Sohn als eines der wenigen weißen Kinder in Sambia eingeschult wurde, erlebte er keinen Rassismus, Kinder sahen die Hautfarbe nicht. Jedoch in Zimbabwe, dem ehemaligen von einer weißen Minderheit regiertem Südrhodesien, wo er sein Abitur machte, trennten sich die Weißen der Oberklassen in der Aula von den neu eingeschulten ersten Klassen der Afrikaner.  
Wie können wir die gesellschaftlichen Debatten also wieder versachlichen? Schön wäre es, wenn es über die Schulen ginge! Debatten Jugendlicher in den Klassen über umstrittene Fragen wie etwa die Covid Pandemie, Klimawandel, Neonazis, Rassismus oder Fremdenfeindlichkeit wären vielleich ein Ventil für „Andersdenkende“, die zu ermutigen sind, ihre Meinungen offen auszusprechen - ohne „political correctness“ zu beginnen und ohne Vorwürfe. Vielleicht würde ein Austausch den einen oder anderen überzeugen, Vorurteile oder sogar Hass abzulegen.

Gibt es eine Erfahrung oder eine Beobachtung, die Sie in besonderer Weise mit Respekt verbinden?

Meine Mutter wurde von einem Regen überrascht, als sie in den 1930er Jahren in Johannesburg auf eine Straßenbahn wartete. Damals gab es wenige Afrikaner, die ein Auto besaßen. Aber nachdem ein Afrikaner gesehen hatte, wie Autos an der durchnässten, nicht mehr jungen Frau vorbeifuhren, hielt er an und öffnete die Tür zum Hintersitz. Meine Mutter schritt um den Wagen (man fuhr links nicht rechts) und setzte sich neben den Fahrer, was eine Südafrikanerin nicht getan und wahrscheinlich das Angebot nicht akzeptiert hätte. Er erkannte bald am stockenden Englisch die Ausländerin und sagte lachend: „Willkommen in Südafrika!“ Traurig - die Reaktion anderer war, der Mann müsse ein Krimineller gewesen sein, sonst hätte er keinen Wagen gehabt. Dass er wohl ein Unternehmer im Township, Arzt oder Pfarrer hätte sein können, fiel ihnen nicht ein.  Ich denke, beide haben gegenseitigen den Respekt gezeigt, dem man dem anderen entgegenbringen sollte.

Könnte Ihrer Meinung nach mehr gegenseitiger Respekt so eine Art Kitt für unsere Gesellschaft sein?

Sicher! Aber wie gesagt, das muss in der Kindheit vermittelt werden – oder später durch Erfahrung gelernt werden.

Kann man Respekt lernen? Oder muss man sich den erarbeiten?

Wie gesagt, dass soll in der Kindheit als selbstverständlich zu verstehen gegeben werden. Bei einem Seminar erlebte ich den Schweizer Pater Michael Traber, der sehr viele Jahre in Afrika verbracht hatte. Er zeigte den Teilnehmern, wie ein Fremder empfangen wird, der am frühen Morgen ein Dorf erreicht. Er wird mit Handklatschen und Respekt vom Dorfältesten am Eingang angesprochen, der ihn begrüßt, nach seinem Befinden fragt und wo und in welcher Familie im Nachbardorf er die Nacht verbracht hatte. Dies sagte ihm, zu welchem Volk der Besucher gehört, aber in jedem Fall wird er willkommen geheißen. Respekt gehörte vor allem Älteren gegenüber zum traditionellen Leben, sodass dies verinnerlicht wurde.

Handelt jemand respektlos, der intolerant gegenüber Fremdenfeindlichkeit ist?

Das kommt auf den Ton an, der angeschlagen wird! Es ist möglich der Person, die diese Fremdenfeindlichkeit zeigt, höflich zu sagen, dass auch er oder sie in einer anderen Gesellschaft der Fremde sein könnte und erwarten würde, als gleichwertiger Mensch anerkannt zu werden.

Ruth Weiß

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