Interview

Dr. Stephan Reimers ist promovierter Theologe. Er war einige Jahre Mitglied der Hamburger Bürgerschaft und des Deutschen Bundestags. Später wurde er Direktor der Evangelischen Akademie Nordelbien und des Diakonischen Werkes Hamburg. In dieser Zeit initiierte er u.a die Gründung des Straßenmagazins Hinz&Kunzt, einer der ersten Obdach- und Wohnungslosenzeitung Deutschlands. Von 1999 bis 2009 war er Bevollmächtigter des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) bei der Bundesrepublik und der Europäischen Union. Nach seiner Pensionierung engagierte er sich ehrenamtlich, u.a. als Vorstandsvorsitzender der Aktion Sühnezeichen und als Präsidiumsmitglied der Welthungerhilfe.

Polizistinnen, Sanitäter, Feuerwehrleute, Lehrerinnen: alle beklagen, dass sie zunehmend respektlos behandelt werden. Wie ist Ihre Wahrnehmung?

Ich kenne diese Klagen vor allem aus der medialen Berichterstattung und kann schwer abschätzen, wie stark solche Phänomene zugenommen haben. Die Medien stehen ja in einem harten Wettbewerb. Das lässt die Bereitschaft zur Skandalisierung und zu dramatischen Überschriften wachsen. In meiner persönlichen Wahrnehmung entdecke ich zunehmend "despektierliches" Verhalten im Umgang der Verkehrsteilnehmer miteinander.

Wie können wir die gesellschaftlichen Debatten wieder versachlichen?

Vielleicht sollten wir unsere Irritationen noch öfter durch Leserbriefe zum Thema machen.

Gibt es eine Erfahrung oder eine Beobachtung, die Sie in besonderer Weise mit Respekt verbinden?

Eine starke Erfahrung, die ich mit dem Begriff Respekt verbinde, ist der Zuspruch für die Obdachlosenzeitung Hinz&Kunzt in Hamburg, die innerhalb eines Vierteljahres eine Auflage von 180 000 Exemplaren erreichte. Die Menschen in und um Hamburg waren beeindruckt, wie Menschen in die neue Rolle von Verkäuferinnen und Verkäufern schlüpften, um ihre Lage zu verbessern. 
Dadurch wurden sie schlagartig zu Gesprächspartnern auf Augenhöhe. Das hat vielen Respekt abverlangt.

Könnte Ihrer Meinung nach mehr gegenseitiger Respekt so eine Art Kitt für unsere Gesellschaft sein?

Respekt ist ein Phänomen der Begegnung und der Gegenseitigkeit. Damals haben sich 3500 der Leserinnen und Leser zum Hamburger Spendenparlament zusammengeschlossen, um mehr zu tun, als eine Zeitung zu erwerben. 
Inzwischen haben sie 1423 Anträge sozialer Initiativen mit über 14 Millionen Euro gefördert und viele Neuanfänge möglich gemacht (z.B. Mitternachtsbus, Duschbus, Zahnmobil, Praxis ohne Grenzen, Hamburger Tafel usw.). 
Den "Kitt" des Parlaments liefern die Berichte, mit denen die Aktiven ihre Anträge vor dem Plenum begründen. Mit welcher Begeisterung sie sich für Menschen in Not engagieren wollen, erzeugt Respekt und läßt die "Parlamentarier" stets mit einem sehr guten Gefühl nach Hause gehen.

Kann man Respekt lernen? Oder muss man sich den erarbeiten?

Zum Erarbeiten von Respekt ist ein entscheidender Schritt, sich in die Perspektive anderer Menschen hineinzudenken. Ein indianisches Sprichwort heißt: "Einen anderen Menschen kannst Du erst verstehen, wenn du drei Tage in seinen Mokassins gelaufen bist."

Handelt jemand respektlos, der intolerant gegenüber Fremdenfeindlichkeit ist?

Selbst wenn es schwer fällt, sollte auch der Diskurs mit fremdenfeindlichen Meinungen im Geist des Respekts geführt werden.
 

Dr. Stephan Reimers 
(Bildquelle: EKD)
 

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