Interview

Dr. Klaus von Grebmer, Volkswirt, arbeitete über 20 Jahre an Universitäten, in Unternehmen, u.a.  in der Pharmaindustrie, und bei der Weltbank. Später leitete er zwölf Jahre lang den Bereich Kommunikation beim weltweit angesehenen Internationalen Forschungsinstitut für Landwirtschafts- und Ernährungspolitik (IFPRI) in Washington DC. Heute ist er Research Fellow Emeritus und strategischer Berater des Generaldirektors von IFPRI. 
Er hat sich intensiv damit auseinandergesetzt, wie Forschungsergebnisse zu Armut, Hunger und Ernährung so kommuniziert werden können, dass sie einen hohen Stellenwert in Öffentlichkeit, Medien und Politik erhalten. In den letzten Jahren war er intensiv an der Erarbeitung und Kommunikation des Welthunger-Indexes beteiligt.
Unter seiner Federführung wurde 2006 die erste Ausgabe des Welthunger-Index veröffentlicht; von Grebmer hatte sich sehr dafür eingesetzt, einen Hunger- Index zu veröffentlichen, der die öffentliche Debatte über die Hungerproblematik unterstützen sollte. Bis heute ist er maßgeblicher Co-Autor des vielfach ausgezeichneten Indexes, der Medien und Politikern rund um den Globus als seriöse Quelle dient, um die Hunger- und Ernährungssituation in einzelnen Ländern zu beschreiben. 

 

Polizisten, Sanitäter, Feuerwehrleute, Lehrerinnen: alle beklagen, dass sie zunehmend respektlos behandelt werden. Wie ist Ihre Wahrnehmung?

Ich stimme dem zu. Als ich die Vorlesungen eines prominenten Wirtschaftsprofessors 1965 in Kiel besuchte, wurden Studenten, die zu spät kamen, stets vor den rund 300 Kommilitoninnen abgekanzelt mit den Worten «Meine Vorlesungen beginnen pünktlich. Halten Sie sich gefälligst daran», worauf der Student den Kopf einzog, ein «Entschuldigung Herr Professor» stammelte und sich setzte. Nur vier Jahre später – in einer Vorlesung über Wirtschaftspolitik stand ein Student auf (soviel Respekt hatte er noch) und warf dem Professor ein «Du, was Du da laberst, ist doch alles bürgerliche Scheisse.» Grosser Applaus, Abbruch der Vorlesung.

Mit dem Amt, der Uniform oder dem weissen Kittel kommt –beginnend in diesen Jahren – nicht mehr automatisch der Respekt. Hat der Unpünktliche die Vorlesung in irgendeiner Weise gestört? Nein; er wäre überhaupt nicht aufgefallen. Es ging um reines Machtgehabe. Hätte der Zwischenrufer diszipliniert werden müssen? Für die Form ja, in der Sache wäre es interessant gewesen, zu diskutieren, ob er Recht hatte.

Respekt muss verdient werden. Krasse Respektlosigkeit muss geahndet werden, sonst kann jeder Rüpel unser Zusammenleben stören.

Wie können wir die gesellschaftlichen Debatten wieder versachlichen?

Eine Versachlichung ist dort möglich, wenn es um die Sache geht. Das Zauberwort in der Wissenschaft dafür ist «evidence-based». Eine These oder Aussage wird nur dann anerkannt, wenn sie auf Fakten und Beweisen basiert und sie wird erst dann beiseitegelegt, wenn es neue, bessere Fakten gibt. Die gesellschaftliche Debatte muss dann einsetzen, wenn es darum geht, diese Fakten zu bewerten. Zielführend ist diese Debatte allerdings nur dann, wenn alle Beteiligten diese Fakten kennen und niemand sie kategorisch leugnet.

Gibt es eine Erfahrung oder eine Beobachtung, die Sie in besonderer Weise mit Respekt verbinden?

Von Stanislaw Jerzy Lec stammt der Spruch: Bei Windstille hat sogar eine Wetterfahne Charakter. Ich respektiere Menschen, die authentisch sind und zu Ihren Wertvorstellungen stehen.

In der Chemiefirma, in der ich arbeitete, bekamen wir eines Nachts den Besuch von jungen Menschen einer weltweit tätigen Umweltorganisation, die den Zaun zu unserem bewachten Werksgelände überkletterten, auf den Fabrikschornstein kletterten und ihr Banner flattern liessen. Strittig war am nächsten Morgen, wie darauf zu reagieren sei. Die Firma war gespalten bis hinein in die oberste Geschäftsleitung. Die «Falken» meinten, dass sei Hausfriedensbruch, die Demonstranten seien von Spezialkräften dort herunterzuholen, abzuführen und gerichtlich zu verfolgen. In der Nacht sandte der Werkleiter Feuerwehrleute zu den Demonstranten mit Kaffee und Kuchen und Passierscheinen, die ihren Aufenthalt auf dem Werkgelände legalisierten. Auf die Frage, warum er das gemacht habe, antwortete er: «Die sitzen auch für unsere Umwelt dort oben. Hätte ich meinen Vorgesetzten um Erlaubnis gefragt, hätte er meine Intervention verbieten können – und Insubordination wollte ich nicht begehen. So aber werde ich mich entschuldigen und die Konzernleitung kann dann meine Aktion entweder tolerieren oder bestrafen.»

Als 2002 im amerikanischen Kongress über den Krieg in Afghanistan abgestimmt wurde, stimmten 420 Abgeordnete der Kammer und 98 Mitglieder des Senates mit »JA» und nur die Abgeordnete Barbara Lee ­– nach langen Gewissenskämpfen – mit «NEIN». Sie wurde daraufhin als Terroristin und Verräterin beschimpft.

Könnte Ihrer Meinung nach mehr gegenseitiger Respekt so eine Art Kitt für unsere Gesellschaft sein?

Die Kurzantwort ist ja. Den anderen Menschen so zu behandeln, wie man selber behandelt werden möchte, würde effektiv viele der Polarisierungen und spaltenden Kräfte reduzieren.

Kann man Respekt lernen? Oder muss man sich den erarbeiten?

Das sind aus meiner Sicht zwei völlig unterschiedliche Dinge, die sich nicht als entweder oder ausdrücken lassen. Man kann Respekt lernen, den man anderen (oder vielleicht auch sich selbst) entgegenbringt und man muss – will man respektiert werden – sich diesen Respekt erarbeiten. Mich erinnert das sehr an die Diskussion über Primärtugenden und Sekundärtugenden. Sekundärtugenden wie Fleiss, Treue, Gehorsam, Pünktlichkeit, Ordnungsliebe sind zwar wichtig für das Funktionieren einer Gesellschaft aber vernachlässigen die ethische Dimension des Respekts. Sie sind notwendige, aber nicht hinreichende Elemente des Respekts und bekommen erst dann ihren Wert, wenn sie helfen, die Primärtugenden wie beispielweise Tapferkeit, Gerechtigkeit, Weisheit zu unterstützen. Weder der Werkleiter noch die amerikanische Kongressabgeordnete hätten sich allein aufgrund Sekundärtugenden so entschieden, wie sie sich entschieden haben.

Vielleicht wäre es sinnvoll auch beim Respekt die Unterscheidung zwischen Primärrespekt und Sekundärrespekt einzuführen.

Handelt jemand respektlos, der intolerant gegenüber Fremdenfeindlichkeit ist?

Ich kann Respekt nur gegenüber einer Person oder Gruppe empfinden, die eine bestimmte Weltanschauung vertritt; der Weltanschauung selbst kann ich keinen Respekt zollen. Gegenüber Personen oder Gruppen wäre zu erfassen, was die Gründe dafür sind, dass sie diese Weltanschauung vertreten. Ist es mangelndes Wissen, kann ich aufklären. Ist es Ignoranz oder Dummheit, wogegen bekanntlich die Götter selbst vergebens kämpfen, habe ich das Recht intolerant zu sein.

Dr. Klaus von Grebmer

 

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