Eine mögliche Begründung
Der große Streit in der Gesellschaft wird von moralischen Standpunkten aus geführt. Die Risse verlaufen nicht zwischen Moralisten und Realisten sondern zwischen verschiedenen moralischen Bewertungen.
Und für Moral gehört es sich, dass sie unverrückbar und nicht „flexibel“ ist. Nur haben wir in unserer modernen westlichen Welt viele Moralen, von denen aus man mit Entrüstung, Überheblichkeit oder Abscheu und mit dem Vorwurf der Heuchelei auf die Menschen mit den anderen Moralen herabschaut.
Da das jede weitere echte Diskussion fast unmöglich macht, muss man wohl einen Schritt zurücktreten und erst einmal gegenüber den Anderen begründen, warum denn die eigene Moral so absolut ist. Das heißt, man muss über die Gründe für die eignen Wertvorstellungen reden und diese offen zur Diskussion stellen.
Diese Diskussion ist schwer und nicht üblich, weil wir so etwas meist zuletzt im Philosophie- oder Religionsunterricht gemacht haben, und es als peinlich oder unhöflich gilt, Anderen mit weltanschaulichen Aussagen zu kommen, solange man nicht sicher sein kann, dass sie diese teilen. (So bietet ja auch diese Website viel Anlass zum Fremdschämen). Aber es bleibt uns wohl nichts andres übrig.
Nicht moralisieren heißt natürlich keineswegs auf Moralvorstellungen zu verzichten, sondern diese nur nicht einfach und unbegründet Anderen überzustülpen. Wenn man einen moralischen Konsens hat, kann man sehr gut darüber diskutieren, ob ein Verhalten oder eine Ansicht zu diesem Konsens passt oder nicht. Wenn man den aber nicht hat, sind die privaten Moralvorstellungen keine Argumente für den, der andere hat. Und ein Aspekt der Diversifizierung unserer Umwelt ist es eben, dass es an einem Ort viele Moralvorstellungen gibt.
Es bleibt uns nichts anderes übrig als uns unsere Moral gegenseitig zu begründen - wenn wir der Spaltung der Gesellschaft entgegen wirken wollen.
Wie sehen Sie das?