Ein Standpunkt dazu
Jede Gruppenidentität ist ein gesellschaftliches Konstrukt, eine Zuordnung mit fließendem Übergang zum Klischee und Vorurteil. Und biologisch sind wir ohnehin 7,8 Milliarden höchst individuelle Varianten.
Eigenschaften aufgrund von Gruppenzugehörigkeiten sind Zuschreibungen durch andere und uns selbst - basierend auf Geschichten, Erzählungen, in denen wir uns aufgehoben fühlen können und die uns im guten Falle stärken. Wesentliche Teile der Kultur speisen sich daraus und die Werbung nutzt sie furios.
Dagegen ist nichts einzuwenden. Nur das einzelne, einzigartige Individuum danach zu bewerten, ob wohlwollend oder abwertend, ob als Opfer oder als Täter ist falsch. Dem wird vermutlich jeder in der Theorie zustimmen, aber praktisch verhalten wir uns anders, weil die Geschichten so stark und stärkend sind und sie so tief in unseren Kulturen verankert.
Aber auch die individuelle Identität ist ein Narrativ. Sie ist die Geschichte, die wir uns über uns selbst erzählen. Sie ist das vorläufige Ergebnis unserer Anstrengungen, unseren Lebenszufälle und Erfahrungen zu einer plausiblen stringenten Erzählung zu bündeln. Wahrscheinlich gibt es ein paar Basischaraktereigenschaften, die uns angeboren sind, und es gibt prägende biographische Einflüsse und Ereignisse, die unseren Geschichten eine Färbung geben, aber dann gibt es eine ungeheure Vielfalt an Gedanken, Erlebnissen, Beziehungen, anwachsendem Wissen, gesuchten Erfahrungen und vielen reinen Zufällen, die wir halb bewusst immer wieder zu einer schlüssigen Geschichte zusammenzufassen, um uns eine Vorstellung davon zu machen, wer wir sind. Und diese Geschichte erzählen wir uns Tag ein bisschen weiter und ändern sie so jeden Tag ein bisschen. Unser Ich ist nicht statisch. Es reicht für die Stabilität unseres Ichs aber vollkommen aus, wenn diese Veränderungen langsam genug sind und einigermaßen stetig.
Wir können unser wahres Selbst nicht finden, wir können es nur gut erfinden.
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Ein anderer Standpunkt dazu
Die Vorstellung, dass wir einzigartige Individuen sind, über uns selbst bestimmen und entscheiden können, führt dazu, dass die Handlungsmacht sich anhand von Anreiz- und Steuerungssystemen darstellt. Nichts muss, sondern kann.
Foucault spricht von der „Selbsttechnologie“, wobei der Neoliberalismus Eigenschaften hervorbrachte, die uns anerzogen werden. Unsere Identität basiert auf Persönlichkeitseigenschaften, die uns als positiv und erfolgreich vermittelt und im System mit Inklusion oder Exklusion belohnt oder bestraft werden. Unser Sein basiert auf der Grundannahme der Freiheit. Die Freiheit, das zu tun, was von uns verlangt wird. Die Identität ist ein Phantasma.
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